Argument: Band und Platte rauschen!
Das stärkste Rauschen kam zunächst aus dem Blätterwald. Jahrelang wurde diskutiert über dB’s, Bandrauschen, Quantisierungsrauschen, headroom usw. Das soll hier nicht wiederholt werden, die Fakten sind inzwischen bekannt und überall in der Literatur nachzulesen. Diese Erörterungen gehen ja auch an den wesentlichen Dingen, die uns hier beschäftigen und berühren, völlig vorbei. Mit Daten sollte suggeriert werden, daß die Qualität einer Musikaufnahme von diesem Grundgeräusch entscheidend mitbestimmt wird, d.h., mit dessen Verminderung zunehme.
Ohne hier technischem Rückschritt zum Trichter oder mangelhaften Bändern das Wort reden zu wollen (es gab eine fabelhafte Entwicklung von Edison zur Telefunken M10!); auf unserem Feld, wo sich die Technik mit den Wirklichkeit werdenden Äußerungen der menschlichen Seele und ihren Empfindungen trifft, ist die Summe von beidem, den technischen Parametern und der künstlerischen Leistung, anders zu bewerten.
Eine einfache Erlebnissituation macht schlagartig klar, was ich meine:
Wenn Heinrich George im „Postmeister“ tanzt, dann rauscht, knackst und klirrt es, das Bild regnet, aber beeinträchtigt das im Geringsten unsere Ergriffenheit bis zum Tränenrand in den Augen?
Was kann eine Abbildung einer künstlerischen Leistung mehr leisten, als uns vollständig bis zu den möglichen Grenzen zu bewegen? Wäre beim Postmeister mit weniger Rauschen ein noch größeres Taschentuch nötig?
Und nicht anders ist es mit der Stereo-Aufnahme der Reichsrundfunkgesellschaft des letzten Satzes der 8. Sinfonie von Anton Bruckner von 1943, ebenso mit Enrico Caruso und Mischa Elman in Massenets Elegie von Anfang des Jahrhunderts oder Fritz Kreisler von 1936 und Eduard Erdmann von 1950! Unser entscheidendes inneres Ohr ist kein Meßmikrofon, es kann viel mehr, da es Teil eines organischen Systems des Schauens und Erlebens ist. Dabei blendet unsere gesamtheitliche Wahrnehmung so etwas Nebensächliches wie ein geringes Grundgeräusch unbemerkt sofort aus, wenn denn die „höheren“ Sinne ausgefüllt sind. Der höchste theoretisch erreichbare Wert der technischen Dynamik eines Aufnahmesystems ist zudem durch das meist darüberliegende Grundgeräusch vieler Aufnahmestudios oder Konzertsäle ohne praktische Bedeutung. (Die abgebildete RRG Stereo Bandmaschine ist kurz nach dem Kriege „nachempfunden“ mit Laufwerk und Verstärkern der RRG-Zeit, die originale Stereomaschine der Aufnahmen von 1943 hatte aber einen speziellen Stereoverstärker, der das Problem der HF-Synchronisation gelöst hat)
Noch einmal: Ich beabsichtige nicht, das Rauschen als edle Zutat zu Aufnahmen zu verklären, aber es ist das kleinere Übel gegenüber einer Tonaufzeichnung ohne Leben, Umittelbarkeit und atmendem Raum. Übrigens: Die etwas Älteren unter uns verbinden mit dem Einsatz eines kleinen Grundgeräusches so etwas wie die Ankündigung: Jetzt passiert etwas Besonderes! Denn wenn es im Kino aus der Richtung der Leinwand zu rauschen begann, dann … Viele erinnern sich vielleicht an diesen Spannungsmoment, der auch eine angenehme Aufregung stimulierte. Und warum wohl wird bis heute in fast allen Spielfilmen, wenn es am Kamin gefühlig wird, eine Nadel auf eine schwarze Scheibe geführt – und nicht ein glitzernder Silberling voller Bits in eine Schublade gelegt?