Johannes Brüning
Stationen eines musikerfüllten Lebens
von Peter Vogel
„Irgendwie sind wir mit ihm über mehrere Ecken verwandt“. Johannes Brüning, Jahrgang 1941, spricht eher beiläufig über prominente Familienbande: der Name Brüning, so wissen Geschichtskundige, läßt mühelos die Erinnerung wach werden an einen früheren deutschen Reichskanzler. „Mein Großvater Heinrich,“ so erinnert sich Johannes Brüning, „war irgendwie mit ihm verwandt. Da gibt es eine gemeinsame Linie von Großmüttern“. Vertieft hat er die verwandtschaftlichen Bande bisher noch nicht, nur soviel steht fest: die Familiengeschichte aller Brünings ist angesiedelt im Münsterland, „da ist alles aus echtem westfälischen Holze“. Die Biographie von Johannes Brüning hat freilich weniger mit Politik, sondern vornehmlich mit Musik zu tun – mit einer gelungenen Karriere im klassischen Musikbetrieb und mit der Faszination über jedwede Form von Rundfunktechnik. Und wie, bitteschön, kommt ein entfernter Verwandter des ehemaligen deutschen Reichskanzlers zu dieser beruflichen Passion? „Eine lange Geschichte,“ sagt Johannes Brüning mit einem leichten Unterton von Understatement in der Stimme.
Und dann fängt er doch an zu erzählen: Vom Großvater, der im Bergbau tätig war und der – wie sein prominenter Verwandter, der Reichskanzler – als Zentrumspolitiker glühende Reden in Berlin gehalten hat. Vom Leben mit seinen Eltern in den vierziger und fünfziger Jahren (davon einige Jahre in Röntgental bei Berlin, damals noch SBZ); vom Umzug der Familie in den Westen der Republik, von seiner ersten Bekanntschaft mit dem Berliner Rundfunk im Funkhaus an der Masurenallee und etwas später mit dem Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR); aber auch davon: daß Wilhelm Brüning, sein Vater, eines von neun Kindern der Brüning-Familie war – und völlig aus der Art schlug. Während die anderen acht Geschwister „ordentliche Berufe“ erlernten, verfìel er bereits in jungen Jahren dem Geigenspiel – nicht ohne Konsequenzen. „Mit 13 Jahren,“ so erinnert sich sein Sohn Johannes, „mußte er das Elternhaus verlassen, hungerte sich bei Bauern mit Feldarbeit durch und gab das gerade selbst Erlernte im Geigenunterricht weiter, um sich über Wasser zu halten“. Na und irgendwann hat er dann doch noch die väterliche Anerkennung errungen – mit einem Studium am Krefelder Konservatorium beim Violinlehrer Professor Fritz Peter und anschließend an der Musikhochschule in Würzburg, mit besten Abschlußzeugnissen, u.a. des Direktors Hermann Zilcher, der als Komponist in unseren Tagen gerade wiederentdeckt wird. Eine erste Anstellung beim Stadttheater Giessen folgte.
Und dann der große (wie sich kurz darauf herausstellte, doppelte) Erfolg: Von 1935-45 Konzertmeister beim UFA-Symphonieorchester in Berlin und diese Stellung bewahrte Wilhelm Brüning gleichzeitig vor der Parteimitgliedschaft und dem Kriegsdienst. „Das war der Durchbruch, denn hier lernte er die Musik- und Schauspielerprominenz kennen, zum Beispiel Heinrich George, O.W. Fischer, Elisabeth Flickenschildt, Anna Dammann, Rudolf Prack oder Theo Lingen und viele, viele andere. Und dazu die großen Komponisten: Theo Mackeben, Franz Grothe, Werner Eisbrenner, Alois Melichar, Werner Bochmann, Norber Schulze, Walter Kollo u.a. Die elegante äußere Erscheinung des neuen Konzertmeisters blieb nicht unbemerkt und so wurde er immer wieder auch ins Bild gesetzt, wenn in einem Film auch optisch ein Musiker oder Dirigent gebraucht wurde“. Im Film „Der ewige Klang“ (1943) dirigiert W.B., der vorher dem Filmgeiger Rudolf Prack die wenigstens optisch richtige Handhabung der Geige beigebracht hatte. Aber hier einige Bilder aus dem Erinnerungsalbum …
Wenn der Spruch zutrifft, dann wohl hier: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Beweis: der Sohn Johannes, der 1941 zur Welt kam. Die Familie wurde während des Krieges in Berlin-Schöneberg ausgebombt und zog ins erwähnte Röntgental. Auf dem Schwarzmarkt erstanden die Eltern ein altes Radio und da war es geschehen: „Ich sehe dieses Bild noch heute vor mir: Der Apparat stand in der Küche und ich habe zum ersten Mal Musik gehört, und zwar Bach! Da war ich ungefähr 5 Jahre alt“. Der Vater erkannte bei seinem Sohn Johannes die angeborene Begabung und das recht seltene absolute Gehör – fortan gab er seinem Sohn Geigenunterricht.
Wie das Schicksal so spielt: „Ich muss 8 oder 9 Jahre alt gewesen sein, da kam als einer der ersten Juden nach dem Holocaust Yehudi Menuhin nach Berlin. Er spielte im Titania-Palast und in seinem Hotel wurde ein Termin verabredet und ich habe ihm vorgespielt – Bach’s a-moll-Konzert. Dann war er so angetan, daß er alle Hilfe, die er geben konnte, gegeben hat“. Menuhin schrieb an den amerikanischen Hochkommissar von Berlin und machte auf das Talent des jungen Johannes Brüning aufmerksam. Und er öffnete noch viele Türen bei der politischen Prominenz im Nachkriegsdeutschland. Doch der Höhepunkt kam erst noch: Beim berühmten Berliner Geigenbauer Böhm durfte sich der neunjährige auf Vermittlung von Menuhin eine Geige aussuchen, ein Instrument von Giuseppe Testore aus dem Jahr 1695, das Brüning noch heute spielt. „Diese Geschichte,“ so erinnert er sich, „hat damals alle Weichen für mich gestellt“. Brüning spielte dem berühmten Geigenlehrer Gustav Havemann vor, „und der war begeistert, sagte zu meinem Vater: Großes Kompliment, der Junge ist nicht verkorkst“. Und da es in den Nachkriegsjahren nicht viele Kinder und Jugendliche gab, die musikalisch derart begabt waren, absolvierte der junge Brüning im Alter von 11 bis 12 Jahren schon bald seine ersten Konzertreisen, die ihn auch in den Westen führten. Die Schule hatte das Musiktalent bereits an den Nagel gehängt, den Unterricht bestritt ein Privatlehrer. Anfang der fünfziger Jahre siedelte die Familie in den Westen über – Johannes Brüning gelang der Sprung an die Musikhochschule Karlsruhe.
Wird fortgesetzt …