Neue Vinyl-LP: Lasagne auf dem Plattenteller!
Zugegeben, der Vergleich ist deutlich zeitgebunden (Frühjahr 2014) und hat ein Verfallsdatum, aber er lag einfach zu nahe, um ihn auszulassen. Hier wie dort (Teig)-Platten mit einer Schicht Gehacktem darauf, und hier wie dort viel zu oft falsche oder fehlende Deklaration der Inhaltsstoffe. Allerdings nur im Falle des Pastagerichtes ist dank besserer Kontrolle (vorübergehend?) mit Besserung zu rechnen, trapp, trapp… Bezüglich der analogen oder digitalen Inhaltsstoffe neuerer LP gibt es ja keine so bedeutenden EU-Vorschriften wie z.B. vor Jahren beim Krümmungsgrad von Gurken. Und bis auf wenige erfreuliche Ausnahmen (auf die ich noch zurückkommen werde) nutzt die Tonbranche weitgehend ihren Freiraum, macht keine konkreten Angaben, preist dafür aber mit den heute üblichen Sprüchen der Industrie-Lyrik ihre Tonträger an. Da gibt es falsche, irreführende oder einfach überhaupt keine Angaben zur Technik, in letzterem Falle ist seit den 80er Jahren größte Vorsicht geboten! Zur Vernebelung trägt die meist ahnungslose schreibende Zunft bei, echte Aufklärung hat sie nicht im Programm. Erstens gibt es zu diesem Thema kaum sachkundige Autoren bei der Tagespresse und zweitens will ernsthaft niemand die Geschäftemacherei stören. Sicher gäbe es ein paar wenige Autoren bei der Fachpresse, aber die lassen das Thema ganz still unter dem Teppich.
Ein Beispiel ist der Artikel „Und sie dreht sich doch“ in der SZ vom 26./27.1.13. Ohne jedes Fachwissen wird eine ganze Seite lang über den steigenden Umsatz mit LP berichtet! Da kommt bei mir auch die böse Frage auf, ob die politischen und wirtschaftlichen Beiträge der Süddeutschen Zeitung etwa ebenso laienhaft sind, wie beispielsweise dieser Bericht zur Situation der Schallplatte… im Gegensatz zu musikalisch-technischen Fragen kann ich auf den anderen Feldern die Hintergründe ja nicht aus eigenen Kenntnissen der Zusammenhänge nachprüfen.
Fälschung durch Weglassung
Zutreffend am Artikel des Herrn Hollenstein ist, daß die LP steigende Umsätze zu verzeichnen hat und die Diepholzer Fa. Pallas gut zu tun hat mit Preßaufträgen. Es ist erfreulich, wenn weiter ordentliche Plattenspieler gebaut werden, und wer viel Geld für sein Hobby ausgeben möchte, kann gerne Abertausende in einen Drehteller mit Tonarm investieren. Sammlern alter LP kann man nur weiterhin Finderglück wünschen, und viele Pressungen bis etwa in die Zeit um 1980 sind sicher ihren Preis wert. Aber bez. der Neuproduktionen sehen wir uns später die in dem Bericht herausgestellte „Ehrlichkeit“ noch genau an. Der ausgiebig von der SZ zitierte Herr Neumann, Eigentümer der Pallas, steht am Ende der Produktionskette, seine Firma beherrscht tatsächlich bis heute noch die anspruchsvolle Preßtechnik und nach dem Verlassen seiner Firma ist das schwarze Gold bereit für den Plattenspieler. Richtig ist, zum Problem für eine längerfristige Produktion von Schallplatten könnte es werden, daß es keine Hersteller von Preßmaschinen mehr gibt und gegenwärtig benötigte Ersatzteile durch Kannibalisieren von alten Maschinen gewonnen werden, bzw. auch durch Einzelanfertigung von Teilen. Aber damit ist es nicht getan, für eine einigermaßen vollständige Darstellung der Situation der Schallplatte muß man korrekterweise SÄMTLICHE Stationen zu deren Herstellung ansehen, auch jene, die VOR der letzten Fertigungsstufe, der Pressung und dann dem Abspielgerät liegen! Und die Beschränkung allein auf die Fragen der letzten Produktionsstufe macht den Artikel so ärgerlich und an entscheidender Stelle unprofessionell!
Der Folienschnitt
Die (auch von mir geschätzte) Pallas übernimmt seit jeher nur den Produktionsprozess ab angelieferter Lack-oder Kupferfolie. Aber, und das ist der große Mangel des Beitrags, kein Wort dazu, wie und in welcher technischen Form und Qualität die Musik auf die Preßmatritze, die entscheidende Vorstufe, kommt! Schon Valentin stellte ja zutreffend fest, daß „Schall“ auf der Platte sein muß. Und an diesem Punkt stellt sich heraus, die meisten der ach so „ehrlichen“ LP aus neuerer Zeit sind weitestgehend reiner Etikettenschwindel! Also auch auf unserem Gebiet so etwas wie Pferde-Lasagne, Glykolwein oder „Bio“-Eier aus dem Hühnerkäfig! Möglichst fehler- und knackfreie Galvanik bei Pallas in Ehren und sie ist unentbehrlich, aber die Endqualität einer LP wird von der Aufnahme und Folienüberspielung entscheidend mitbestimmt! Und DA liegen heute die großen Schwachstellen. Der praktisch einzige
Hersteller von Folienschneidmaschinen und der dazugehörigen SCHNEIDKÖPFE war die Fa. Neumann in Berlin. Neumann wurde bedauerlicherweise von Sennheiser übernommen und die Herstellung der Anlagen, aber speziell der SCHNEIDKÖPFE, endete bereits vor Jahren. Auf diesem Gebiet herrscht fast Notstand, denn nach meinem Wissen gibt es nur noch 2-3 Spezialisten, die Schneidköpfe zu extremen Kosten reparieren können. Eine Neuherstellung existiert lediglich in Form von Laborstücken, Serien sind kaum in Sicht. Die Grenze zum generellen Betrug mit neueren LP ist aber in meinen Augen dadurch überschritten, daß die ALLERMEISTEN Folien mit DIGITALEM Tonmaterial geschnitten werden, und das in höchst unterschiedlicher Qualität, ohne eine entsprechende Deklaration auf der Platte oder dem Cover!
Natürlich steht nirgendwo eine quasi naturgesetzliche Bedingung geschrieben, daß eine LP IMMER ein lückenlos analoges Produkt sein muß! Aber die größte Bedeutung des Vinyls ergibt sich doch aus der möglichen ANALOGEN Wiedergabe von Musik, wie sie seit der Erfindung der Schallplatte selbstverständlich war. Die LP wäre der einzige verbliebene und vervielfältigungsfähige REIN analoge Tonträger seit das Heimtonbandgerät oder die MC praktisch keine Rolle mehr spielen und der Rundfunk inzwischen zu einem Lieferanten primitivster MP3 Berieselung verkommen ist! Und es gibt sie in steigender Zahl, die Musikhörer, die (zu recht) der analogen Reproduktion von Musik nachtrauern! Fast alle mir bekannten Folienüberspieler, mit wenigen sehr erfreulichen Ausnahmen wie z.B. Organic Music in Obing, SST Brüggemann in Frankfurt, Schnittstelle Kauffelt in Frankfurt oder die Berliner Meister Schallplatten in Hannover (es wird noch einige wenige andere geben, über eine Info würde ich mich freuen!), sind nicht mehr in der Lage, von analogem Band zu schneiden. Und von den wenigen anderen Studios, die überhaupt noch das Geheimwissen besitzen, eine Studio-Bandmaschine betreiben zu können, steuern fast alle nur noch den Schreibervorschub mit dem analogen Tonsignal. Der Schreiber selbst wird dann über eine digitale Verzögerung gespeist!! Ergebnis in geschätzt 90 % der Produktionen: Eine CD oder SACD auf Vinyl! Und noch schlimmer: Sehr oft bekommen die Überspieler datenkomprimierte Primitv-Tonträger zum Schnitt angeliefert. Der Käufer erhält eine teure MP3 Schallplatte für Fan-Preise! Eine solche „digitale“ LP ist jedoch ein völlig sinnloses Produkt! Da ist man mit der CD besser bedient! Anders sieht es aus, wenn das Tonmaterial konsequent mit höchstauflösender Digitaltechnik hergestellt wurde wie z.B bei ACOUSENSE (und etlichen anderen), aber auch da bleibt für mich die Frage, ob es für den Anhänger digitaler Technik nicht sinnvoller ist, trotz Normenwirrwarr gleich eine SACD zu kaufen… .
Die Schnittechnik
An diesem Punkt ist wohl ein kleiner Ausflug in die Technik angebracht, denn aus Gesprächen mit Musikhörern und HI-FI Fans, auch mit „Kennern“, weiß ich,
daß speziell in der etwas jüngeren Generation der Herstellungsprozess einer Schallplatte fast nicht mehr bekannt ist, ja sogar im Audio-Bereich Aktive wissen heute von dem vollständigen Werdegang kaum noch etwas. Gleichgültig, ob bei der Edison-Walze (1877) oder der später von Emil Berliner (1887) erfundenen flachen Schallplatte, der Schnitt in Wachs, Gelatine oder andere Trägermaterialien erfolgte immer mit gleichbleibendem Rillenabstand durch starr mit dem Tellerantrieb gekoppelten Vortrieb des Schneidkopfes über eine Schneckenwalze. Ein Blick auf die Zeichnung des Neumann Gelatine-Schneidgerätes R 21 von 1933 zeigt das von der Zeit Edisons bis in die 50er Jahre unverändert gültige Prinzip.
Erst mit dem Füllschriftverfahren des genialen Erfinders Eduard Rhein (u.a. war er von 1946 bis 1964 Chefredakteur der HÖR ZU) aus dem Jahre 1950 wurde der Schreibervortrieb variabel gesteuert, was die Spieldauer einer Platte (zu der Zeit meist schon der Vinyl-LP) deutlich erhöhte. Seine Idee war, daß leise Abschnitte der Musik wegen der geringeren Rillenbreite enger nebeneinander geschnitten werden können und der Vortrieb bei lauten Passagen entsprechend erhöht werden muß. Aber dazu braucht der Steuermotor für den Vorschub vorher die Information, wann es laut wird.
Die Lösung: Das Mutterband wird 2 mal abgehört auf speziell ausgerüsteten Studio Bandmaschinen mit 2 Wiedergabeköpfen und einer Umlenkeinrichtung vor dem Kopfträger, die eine Bandschleife mit genau der Länge erzeugt, die der Dauer einer Umdrehung der zu schneidenden Platte entspricht. Der erste Wiedergabeweg gibt die Pegelinformationen, mit denen der Rillenabstand gesteuert wird und erst das zeitlich spätere Tonsignal wird dann dem Schneidkopf zugeführt. Diese für Folienüberspielungen ausgerüsteten Bandmaschinen sind natürlich aufwendiger in der Handhabung, Wartung und Einmessung als eine „normale“ reine Wiedergabemaschine.
Das brachte die meisten Überspieler dazu, das Tonsignal für den Schneidkopf einfach über eine digitale Verzögerung zu erzeugen. Ergebnis: Siehe oben, letztlich dann eine digitale LP! Die heutigen Anbieter von LP machen, wie gesagt, selten Angaben, ob es sich tatsächlich um eine in sämtlichen Produktionsschritten analoge Platte handelt. Dazu kommt, daß es konsequent analog bis zum Masterband arbeitende Tonstudios kaum noch gibt. Alle kontaktierten Schnittstudios bestätigen, die Nachfrage nach rein analogem Schnitt seitens der Plattenproduzenten ist äußerst gering. Alte Bänder berühmter Aufnahmen der großen Musiker und Firmen erfahren zudem vor einer Neupressung oft eine schreckliche „Veredelung“ durch „digital remastering“ (grausame Beispiele für solche Verstümmelung hat die Süddeutsche Zeitung selbst in Ihren CD-Serien „Große Geiger und Pianisten“ verkauft). Die Verkaufs- und Werbemaschinerie der Industrie arbeitet mit den nostalgischen Erinnerungen und Gefühlen der Käufer, die so meist über den Tisch gezogen werden. Und dann gibt es noch den Musikhörer, der sich an der Selbsttäuschung berauscht, eine CD auf Vinyl klänge „besser“ als die reine CD! Das ist physikalischer Unfug, der Folienschnitt kann nicht herbeizaubern, was die Digitaltechnik bei der Aufnahme hat verschwinden lassen. In Studio-Fachzeitschriften fand ich Berichte über Studios in USA, die noch Folien schneiden können und das laut Beschreibung mit hoher Güte… Stillschweigend wurde übergangen, daß die beschriebene Methode der digitalen Erzeugung des Schreibersignals auch dort angewandt wird. Mengen von Bandmaschinen sah man auf den Fotos… aber keine einzige mit der typischen Bandschleife für den zweiten Wiedergabeweg, der für den Schreiber gebraucht wird.
Die Situation für den LP-Käufer
Das alles soll den Analogfan nicht davon abhalten, auch neue Vinyl Produktionen zu erwerben und sich daran zu freuen! ES GIBT SIE JA, die echten Schätze alter Machart, nur muß man sich genau umsehen und nachfragen! Und das wirklich nachdrücklich. Ich selbst war dabei, als sogar auf einer Analog-Ausstellung eine neue LP als analog angepriesen und für viel Geld verkauft wurde, von der ich intern wusste, wie die von einem gehobenen Amateur gemachte Bandaufnahme komplett am PC überarbeitet worden ist, weil sie nicht schnittfähig war! Das wurde den Käufern natürlich verschwiegen. 2012 befaßte sich z.B auch die Zeitschrift Stereo mit den Problemen der hochqualitativen Herstellung von LP in unseren Tagen. Diese Artikel waren fachlich durchaus professionell und sachlich richtig, aber, da letztlich die Zeitschrift Teilnehmer am Wirtschaftsbetrieb Musikindustrie ist und niemand ernstlich verstört werden soll, wird dem Leser unterschlagen, daß ein Großteil der „analogen“ LP eben doch aus nicht deklariertem Hackfleisch bestehen, zahllose davon aus unappetitlichstem MP3. Von der Zeitschrift LP erhielt ich auf meine Anfrage, ob sie ihre Leser komplett aufklärt, erst gar keine Antwort, mit Hofberichterstattung lebt sich’s wohl doch besser… .
Eine wichtige Klarstellung: Meine Schilderungen beziehen sich insgesamt nur auf Musik mit natürlicher Klangerzeugung, bei elektronischer „Musik“ sieht die Sache anders aus: Hier ist wohl die Digitaltechnik im Vorteil, aber da es sich dabei nicht um Musik handelt, ist das Thema hier nicht einbezogen. In der nächsten Ausgabe der Illustrierten Funkstunde werde ich mich mit der Musik vom Elektriker intensiv befassen. Da kam es sehr gelegen, daß mir ein Freund gerade die sogenannten 4 Kriterien der elektronischen Musik von Stockhausen zusandte. Auch nach 50 Jahren ist es für einen Musiker unfaßbar, wie man Menschen, die lesen und schreiben können, derartigen Unfug 1972 in einem Hochschulvortrag vorsetzen konnte ohne einen „shitstorm“ zu erzeugen… . Mit diesem Beitrag will und kann ich die Debatte über die „bessere“ Qualität digitaler oder analoger Tontechnik nicht entscheiden, das ist hier auch nicht das Hauptthema, und die Diskussion wird bleiben. Nur mir persönlich liegt die alte Analogtechnik, mit der ich quasi aufgewachsen bin, viel näher als die neue Hackschnitzel-Errungenschaft. Es ist aber wie bei der Lasagne: Die Anteile an Hufeisen im Hackfleisch sind ja nicht gesundheitsschädlich, aber wer sie nicht mag, möchte doch informiert sein!
Betrug mit Tradition
Seit dem berühmten Stichtag des gloriosen Karajan- und Sony Auftritts 1981 bei einer Salzburger Pressekonferenz (Karajan zur Digitaltechnik: Dagegen ist alles andere wie Gasbeleuchtung) hat die Fama der so unvergleichlich tollen Digitaltechnik viele Tonleute mit der wirtschaftlichen Daumenschraube mehr oder weniger zum Betrug gezwungen!
Die Industriewerbung und ihre willigen Trittbrettfahrer bei der „Fach“-Presse haben ganze Arbeit geleistet! Über Nacht musste für die meisten Journalisten, Musiker und Käufer von LP oder CD alles digital sein. Ich erinnere mich noch an die naseweise Frage eines sehr jugendlichen Trompeters, der wohl meinte, etwas Wichtiges aufgeschnappt zu haben: Nehmen Sie auf MAZ auf? Zu der Zeit gab es für private Studios eigentlich nur die digitale Aufnahme mit dem beta-Videorecorder SL-F1. Das Problem: Kaum ein privates Studio konnte zu der Zeit digital schneiden, Computerschnitt gab es noch nicht und die Schnitteinrichtung von Sony, bestehend aus 3 großen U-matic Recordern und einem Steuerpult war derartig teuer, daß nur wenige große Firmen so etwas kaufen konnten. Was tat also die Mehrheit der kleineren Studios: Dem Auftraggeber das kleine Videogerät während der Produktion vorzeigen und damit die Aufnahme machen. Nach den Details der hinterher erforderlichen Bearbeitung im Studio fragte niemand. Daß digitales Material in den 80-ern eigentlich nur im Ausnahmefall mit riesigem technischen und finanziellem Aufwand digital zu schneiden war und geschnitten wurde, wußten die Musiker nicht. Zu Hause angekommen, spielte man das Digitalband einfach auf die klassische analoge Telefunken Bandmaschine M10 um, oft mit telcom, und alles wurde wie bisher analog fertiggestellt. Auf der Platte oder CD stand dann aber pflichtschuldigst „digital recording“ oder DDD! Heute ist es umgekehrt: Dem Käufer wird stillschweigend eine „analoge“ LP angedreht, die meist aus Hackfleisch besteht, u.a. deshalb, weil es jetzt teuer ist, analog zu produzieren… und die entsprechende Sachkenntnis selten geworden ist. Vielen Dank an geduldige und hilfsbereite Gesprächspartner, u.a an die Herren Krieger von SST Frankfurt, Maillard von den Berliner Meisterschallplatten, Koschnicke von ACOUSENCE, Kauffelt von Schnittstelle Frankfurt, Scheffner von ORGANIC Music