RÖHREN-GEHEIMNIS ?
Physiker raus! Oder wenigstens weghören. Giovanni lädt zur Märchenstunde ein!
Es muß einfach hin und wieder erlaubt sein, Bildern der Phantasie, an denen man sich ganz naiv erfreuen kann, freien Lauf zu lassen, und das auch wider das Wissen um die technischen Fakten.
Es war einmal, nein, es ist bis heute jeden Tag bei uns so, daß wir mit bewegender Freude und immer wieder fast ungläubig staunend über technische Geräte Musik und Wort hören – im Hause eines Musikers, in dem gleichzeitig ein großes altes Rundfunkstudio steht, nicht überraschend. Daß es sich (mit ganz wenigen Ausnahmen) nur um analoge Wiedergaben klassischer Musik handelt, muß ich nicht betonen. Warum aber über Röhrenverstärker? Mehrere Antworten: Wir sind damit aufgewachsen. Die ersten Aufnahmen im Rundfunk sind unvergessen -WAS für ein Anblick, die rotglühenden Heizfäden der bei den RRG-Verstärkern vorne sichtbar angebrachten Röhren! Und dann die frühen Basteleien mit Röhrenverstärkern, die jegliches Taschengeld verschlangen, die erste große Stereoanlage von Klein und Hummel (Beschreibung kommt in die nächste Illustrierte Funkstunde), wieder mit sichtbaren glühenden Röhren?..und WAS für ein Klang!Röhren haben eine „weiche“ Kennlinie, einen ohrfreundlichen Verlauf des Klirrfaktors und fügen dem Klangbild „angenehme“ Obertöne hinzu. Und das Spektrum des Restrauschens, wenn man denn in den Grenzbereich kommt, ist für mich weniger aufdringlich als das der Transistoren.
Mein leider früh verstorbener Freund Hennry Jahny (SFB) aus Berlin sagte in der Phase der aufkommenden Digitaltechnik immer: Wenn es die Röhre noch nicht gäbe, JETZT müsste man sie erfinden! Aber woher kommt neben den genannten Fakten der Röhrenklang? Ich habe dazu die ganz persönliche sympathische Vorstellung entwickelt, es könnte die LEISTUNGSLOSE STEUERUNG der Röhre sein. Ist der Gedanke nicht schön, daß der Klang einer Geige, eines Streichquartetts, einer Stimme, ohne „Arbeit“, ohne „Leistung“ weitergegeben wird?Oder hat es keine Bedeutung, wenn so etwas Ätherisches wie die genannten Instrumente, Höhepunkte der Erfindungen abendländischen Geistes, mit „Kraft“ verarbeitet werden? Denken wir an die Stimme Ilse Helmigs in Mozarts Vesper, ein Klavier wie das bei Enikö Bors´ Chopin Sonate, an Sascha Reckerts Adagio für eine blinde Glasharmonikaspielerin von Mozart, an Hannelore Michels Cello mit dem Andante cantabile von Tschaikowski oder Hans Paetsch, der uns die Geschichte von Peter und dem Wolf erzählt?
Ich weiß, es ist durch nichts belegbar, aber fast alle Schwärmer mit „goldenen“ Ohren sprechen seit jeher vom luftigen, schwebenden, freien Klang der Röhren. Im Transistorverstärker muß jede Stufe Leistung an die nächste abgeben, damit wiederum diese verstärkt als Leistung an die folgende weitergegeben werden kann. Dem Steuergitter der Röhre genügt aber allein das VORHANDENSEIN einer Steuerspannung, die sich nicht verbraucht, um den Anodenstromkreis, der selbstverständlich zugeführte Leistung benötigt, zu modulieren. Am nächsten kommt der Röhrenfunktion noch der gedankliche Vergleich mit einem Katalysator, der seine Wirkung entfaltet, aber selbst nicht „verbraucht“ wird.Kommt das alles unseren Empfindungen im Zusammenhang mit Musik nicht recht nahe? Richtig, es gibt da noch den FET, den Feldeffekttransitor, ihm genügt röhrenähnlich auch eine Steuer-SPANNUNG, aber mir ist kein Vollverstärker bekannt, der ausschließlich mit FET?s bestückt ist.
Es bleibt dabei: Vor ein paar Jahren erschien ein Bericht zu unserem Thema in der Süddeutschen Zeitung. Er war überschrieben: Gib mir Wärme, schönes Teil!